Mittwoch, 1. Februar 2012

Halbzeit in Indien


Liebe Verwandte, Freunde und Bekannte,
liebe Sandra(SCI)
lieber David, lieber Jürgen,

Indien ist wie ein alter Citroen:(ihr wisst schon, das Dreirad ohne Seitenspiegel, bei dem man gut daran tut sich den Tankstand zu merken) Der Citroen läuft schon irgendwie. Das tut Indien meistens auch. Das eine hat zu viele Kilometer bringt dich immer ans Ziel, das andere hat zu viele Einwohner, ist kunterbunt mit vielen Farben und hat die nettesten Menschen der Welt. Beides ist dein bester Freund, du musst eine Leidenschaft dafür entwickeln. Beides ist riesig groß. Verlass dich nicht immer auf deinen besten Freund, aber vertraue ihm immer. Erwarte nichts, und erwarte alles.

Es ist Halbzeit. Der Schiri pfeift, die Spieler gehen in die Kabine. Alle reden darüber was die letzten 45 Minuten passiert ist, die Fans stehen mit einem Bier und einer Wurst am Spielfeldrand und lassen das Revue passieren, was sie eben gesehen haben.

Ich übertrage dieses Beispiel zu mir nach Indien. Der fünfte Auslandsmonat hier bei Samuha ist rum, ich gehe in mein Büro, klappe mein Laptop auf, hole mir einen Chai und lasse Revue passieren was das letzte halbe Jahr hier gelaufen ist.
Es ist viel passiert, ich habe viel gesehen, erlebt und gearbeitet, und ich schaue zurück auf ein halbes Jahr voller Emotionen, Erlebnissen und einer wahnsinnig tollen Zeit in meinem geliebten Incredible India.


Es ist Oktober 2011, und Indien ist nicht mehr so neu, hektisch, laut und dreckig. Die Stadt Koppal ist zu einer wirklich schönen Stadt geworden, die man nach sechs Wochen aus völlig neuen Augen sieht.
Die Weißheit „Deine Seele hat ein Ticket zu Fuß und kommt nach sechs Wochen an“ stimmt wirklich. So gab es im Oktober das erste Schlüsselerlebnis, dass ich hier erwähnen möchte.
Moritz und ich gehen zum Gavideshrowah Tempel, ein sehr bekannter und großer Tempel hier in Koppal. Wir treffen uns mit Swami, dem Bischof der Stadt Koppal, und haben eine lange Unterhaltung und ein schönes Abendessen mit ihm.
Anschließend passiert etwas was man eigentlich kaum in Worte fassen kann.

Wir setzen uns auf den Berg hinter dem Tempel, und haben Koppal vor uns. Die Sonne geht unter, und leiser Staub legt sich in das samtrote Koppal nieder, dass gerade langsam einschläft. Genau in diesem Moment beginnt eine indische Combo am Fuße des Berges zu spielen, und wir erleben den wohl bewegensten Sonnenuntergang unseres Lebens.
Das vorher wirklich laute und staubige Koppal verwandelt sich zu einem zu Hause, das uns für die nächsten Monate aufnimmt und in dem ich mich seit dem einfach nur wohl fühle.
Nach circa sechs Wochen bin ich also in Samuha und in Indien angekommen.

Somit erlebe ich Situationen, die vorher erschreckend und unschön waren ganz angenehm und schön. Es ist eine Sache der Natur das in der 30.000 Einwohnerstadt Koppal und in einem Dorf ein Weißer die Weltattraktion ist, und so ist es an der Tagesordnung das IMMER mindestens dreißig Inder um dich herum stehen und gucken.
Anfangs habe ich dies als unangenehm empfunden. Mitten in der indischen Kultur verstehe ich mittlerweile das jeder einzelne Inder, der um einen herum steht, die größte Interesse an dir hat und wirklich von Grund auf herzlich ist und wissen will wie es einem geht, und was man hier macht.
Ein Umstand, den ich anfangs als komisch empfunden habe ist mittlerweile unabdingbar für meine Arbeit im Village/im Slum. Als ich angefangen habe meine ersten Klienten zu besuchen kamen alle Menschen des Dorfes um zu sehen was ich tue.

Erst nach ein paar Wochen habe ich verstanden, dass ein Inder wirklich für einen Tag seine Arbeit liegen lässt um dir zu helfen. Aus einem anderen Augenwinkel betrachtet ist mir aufgefallen, dass mir die Dorfbewohner wirklich helfen möchten und eine unglaubliche Interesse am Rampen bauen haben.
Mit diesen Erlebnissen wurden wir von unseren Direktoren Anfang Otkober mit dem Programmkoordinator Aylappa (Moritz Kollege) nach Bangalore auf eine Dienstreise geschickt, um mit einer Organisation namens APD (The Association for People with Disabilities) in Kontakt zu treten und zu sehen, wie man Menschen individuell helfen kann. Auch das zuerst hektische und chaotische wirkende Bangalore war auf einmal eine sehr zahme Stadt mit einem ganz normalen Alltagesleben.
Zurück auf dem Land wurde dirket ein erster kleiner Urlaub in Ayalappas Village angehängt. Das für die Inder wichtige Festival „Dipawali“ wurde gefeiert, und dies nahmen Moritz und ich zum Anlass fünf Tage richtiges Village Life zu genießen.
In einem normalen Village gibt es keinen Strom (zumindest nur für ein oder zwei Stunden am Tag), man muss drei Kilometer laufen um Wasser zu holen, man wäscht Kleidung und sich selbst im naheliegenden Fluss, und Essen wird natürlich auf Feuer gekocht.
Ein Urlaub, den ich wirklich als schön empfunden habe, weil wir durch das Festival wieder ein bisschen näher an die indische Kultur des Hinduismus kamen. Wir wurden gleichzeitig von Aylappa getauft, seitdem trage ich immer einen roten Punkt auf der Stirn.

In diesem Urlaub haben Moritz und ich vor allem das Schlafen auf dem Dach als sehr spirituell empfunden, weil die ganze Nacht Livemusik gespielt wurde, und wir so von indischen Tönen in den Schlaf gewiegt wurden
Wieder zurück in Koppal war dann die Schonfrist endgültig vorbei, und es ging ans eingemachte. Samuha hatte uns einige Wochen Zeit gegeben uns einzugewöhnen und das Projekt kennen zu lernen, und Mitte Oktober wurde dann angefangen zu arbeiten.
Was ich hier wirklich genau mache erkläre ich immer nur in Wortfetzen, und deshalb nutze ich diesen Bericht um einmal ausführlich zu beschreiben was hier eigentlich genau passiert.

Mein Projekt heißt „Functional Adaptation“. Das Projekt bestand schön längere Zeit, wurde aber 2009 richtig aufgezogen. Das Projekt hat das Ziel, die Lebenssituation Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung zu verbessern. Dabei geht es um behinderte Menschen, die seit ihrer Geburt behindert sind oder durch einen Unfall/eine Krankheit behindert geworden sind, und Hilfestelllung benötigen, alltägliche Dinge zu meistern.
Alltägliche Dinge sind eigentständig aufstehen, Transfer vom Bett in den Rollstuhl, Toilette/Waschen, Kochen und andere Dinge.
Dabei steht vor allem im Vordergrund, die Personen so zu rehabilitieren, dass das Leben möglichst bis ganz eigenständig und barrierefrei gemeistert werden kann.
Hierzu muss ich sagen, dass die Infrastruktur und (berufliche)Möglichkeiten, sowie finanzielle Unterstützung für behinderte Menschen im ländlichen Indien aus meinen Augen wirklich katastrophal bis nicht vorhanden sind.
Es fehlt für behinderte Menschen wirklich an allem. Busse können aufgrund der Höhe der Busse nicht genutzt werden, wie soll eine Person die nur 400Rp bekommt einen Arzt bezahlen und gleichzeitig eine Familie ernähren?!



Ebenfalls muss ich hier anfügen, dass es viele kleinere größere Konflikte gibt, die mich in meiner alltäglichen Arbeit begleiten, die meine Arbeit hier aber so spannend macht.
Ich sehe Indien immer aus verschiedenen Augenwinkeln und versuche Sachverhalte unterschiedlich zu betrachten.
Aus dem Augenwinkel von Behinderungen entstehen in Indien viele Behinderungen durch Umstände, die man vielleicht durchaus vermeiden könnte.
Es ist natürlich schwierig und nicht gut eine Kultur von außen zu beurteilen, aber ich kann bis heute nicht nachvollziehen das eine hohe Anzahl der Behinderungen auf dem Land aufgrund von Family Marriages entstehen.
Auch im Hinblick auf (Arbeits-) Sicherheit, und vor allem Verkehr, gibt es viele Behinderungen die aufgrund von fehlendem Wissen und einer nicht intakten Infrastruktur entstehen.

So sieht man hier weit und breit nur Motorradfahrer von Samuha-Samarthya, die mit einem Helm fahren.
Alkoholismus am Steuer vor allem in den Abendstunden ist u.a. ebenfalls ein Grund für die erhöte Anzahl von Behinderungen die hier in Nordkarnataka vorzufinden ist.
Man muss sich hier in meiner Arbeit dessen bewusst werden, dass auf dem Land ein anderes Denken in den Köpfen vorhanden ist, was in keinem Fall negativ ist.
Nicht nur das Aussehen der Villages(z.B. bestellen der Felder mit Oxen Karren), sondern auch das Leben hier ist konservativ, und im Vergleich zu Bangalore und großen Städten sehr zurück und in der Vergangenheit.
Dies ist im Bezug auf Traditionen sehr positiv, im Kontext der Behinderungen aber durchaus als negativ einzustufen.

Meine Arbeit besteht deshalb natürlich nicht nur aus Rampen bauen, sondern auch aus viel Aufklärungsarbeit.
Ich habe in Koppal und den Dörfern um Koppal einen neuen Klientenpool aufgemacht, und hatte somit im ersten Monat durchaus Startschwierigkeiten, bis ich anfangen konnte über das Bauen von Rampen nachzudenken.
Die Startschwierigkeiten gestalten sich dadurch, dass es zunächst gedauert hat, davon zu überzeugen das eine Adaptation nötig ist.
Es hat also seine Zeit gedauert, die Familien davon zu überzeugen das ich wirklich daran interessiert bin etwas in die Tat umzusetzen.
Ich habe von der indischen Kultur und Arbeitsweise gelernt, dass es hier etwas länger dauern kann, bis man zu einem Ergebnis kommt. Dies hängt damit zusammen, dass sich indische Menschen wirklich viel Gedanken machen und zu einer guten Lösung kommen möchten.
Als ich also immer zur vereinbarten Zeit vor der Tür stand und oft mein Anliegen vorgetragen habe, kam von Seiten der Dorfbewohner eine große Interesse.

Bei vielen Klienten und Familien findet man schnell eine gute Lösung, bei einer anderen Familie dauert es ein bisschen länger bis man gemeinsam etwas erarbeitet hat.
Das Wort gemeinsam wird hier in jedem Fall als sehr hoch angesehen. Die Familie und vor allem die Eltern sind sehr heilig. Ich muss bei meiner Arbeit berücksichtigen, dass auch die Dorfgemeinschaft ein wichtiges Wort mitzureden hat, was mir anfangs nicht so beuwsst war.
Schließlich leisten die Nachbarn für mich eine wichtige Arbeit und helfen mir dabei das Projekt umzusetzen.
Es ist in diesem Kontext aber auch schwer nachzuvollziehen, dass das Village nicht akzeptiert, eine Toilette oder eine Adaptation zu bauen.
In vielen Villages ist die Person mit Behinderung nicht integriert. So habe ich einen Klienten, der mit dem Grad seiner Behinderung durchaus viel tun könnte, jedoch u.a. wegen dem Verhalten des Dorfes sich nicht traut aus dem Haus zu gehen und seit 1 ½ Jahren im Bett liegt.

Es ist immer mein klares Ziel, die Person mit der Behinderung in den Mittelpunkt zu stellen, und die individuell beste Lösung zu schaffen.
Ich habe es mittlerweile gut raus, über Lösungen und Ideen zu verhandeln.
Manchmal ist es dennoch schwer sich einzugestehen das man zwar finanzielle Möglichkeiten und andere Hilftsmittel parat hat, um mit dem Bau der Adaptation zu beginnen, die Kultur meinen Ideen vom Aussehen/der Umsetzung allerdings nicht entspricht. So muss ich einsehen, dass ich manchmal einfach nicht (optimal) helfen kann.

Ich möchte hier ein Beispiel nennen. Ich betreue seit September den kleinen Srinnas, der 10 Jahre alt ist und an Cerebral Palsy leidet, eine geistige Behinderung bei der eine Hälfte des Gehirnes eingeschränkt ist und das Kind somit über gewisse motorische und geistige Fähigkeiten nicht verfügt. Nach mehrmaliger Absprache wollte ich eine Treppe und eine Sitting Consruction im Bad bauen, allerdings kam das Gespräch mit der Familie nicht ganz in Gang.
Zu den Konflikten zählt unter anderem das es meinen Klienten unangenehm ist zuzugeben das die ein Problem haben und ich manche Probleme, die eigentlich in Null Komma Nix gelöst wären (wen ich denn davon wissen würde) erst sehr spät oder nichts erfahre. Durch genaues Nachhaken erfahre ich also, dass der Großvater dem Bau der Adaptation nicht zustimmt weil ich ihm seine Beine nicht zurückbringen kann.
Wer mich gut kennt weiß, dass ich sehr ehrgeizig bin und ein Projekt nicht loslasse bevor es perfekt ist. Ich muss einfach von meinem Charakterzug her lernen, dies mit der indischen Arbeitsmentaliät in Verbindung zu bringen. Manchmal gelingt es besser, manchmal schlechter.

Die Menschen hier mit denen ich zusammenarbeite arbeiten anders, und ich mag den indischen Alltag und die Arbeitmentalität auf jeden Fall sehr. Vor allem der langsame Start in den Tag empfinde ich als sehr entspannend.
Ja, der Inder und die Zeit. Ich als überpünktlicher Deutscher, der in circa fünf Jahren als Grundschullehrer in Deutschland das Beamtentum pflegt kann natürlich manchmal gar nicht verstehen warum das denn manchmal so lange dauert.
Wenn ich dann mal eventuell selten etwas rumstresse holt mich mein Lieblingsreisepartner Moritz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: „FLO, Entspann dich;-)“.

Ich möchte hier betonen, dass die kleineren und größeren Konflikte in meiner Arbeit nur ein kleiner Teil sind und ich viel Raum habe, die Konflikte zu lösen und zu verstehen, warum des den Konflikt/das Problem gibt. Manches verstehe ich, manches verstehe ich nicht. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ich in einem wirklich guten Projekt gelandet bin in dem man viel lernen und bewegen kann.
Ein paar Probleme lösen sich, andere dafür nicht. Ich liebe meine Arbeit hier wirklich sehr und es ist so spannend, weil ich kein Standardprogramm durchrocke, sondern mit Menschen von 0-99 zu tun habe, viel kreativ arbeiten darf, jeden Tag neue Klienten und neue Arbeitsplätze habe und einfach unfassbar viel lerne. Als die Idee in meinem Kopf entstand nach dem Abitur einen Freiwilligendienst im Ausland zu leisten war das Ziel, die Lebenssituation der Menschen zu verbessern und einen kleinen Teil tun, um die Welt besser zu machen.
Ich wüsste also nicht wie man in einem Freiwilligendienst irgendwo besser Menschen aktiv helfen kann. Es ist einfach umwerfend den Erfolg zu sehen, den man bei einer Familie sieht.

Meine Arbeit ist sehr frei und es gibt bei Samuha-Samarthya keine festen Arbeitszeiten.
Ich empfinde es als sehr angenehm, dass ich selber entscheiden darf, wie ich wann welchen Klienten besuche und wie ich meine Arbeit gestalte.
Ich mache mir vorher Gedanken, was ich an einem Arbeitstag erreichen möchte. Es besteht von seiten meiner Vorgesetzen keine Kontrolle, die Arbeit ist auf Vertrauensbasis.
In wöchentlichen Meetings am Samstag werden die Ergebnisse der Woche besprochen und mein Team möchte natürlich saubere Ergebnisse von Projekten sehen, allerdings ist es mir überlassen wie ich das Projekt umsetze.
In den wöchentlichen Meetings besprechen wir Probleme und ich bekomme Unterstützung.
Dieser Umstand macht die Arbeit sehr reizend, weil ich viel ausprobieren darf und mit viel Kreativität am Werk Adaptationen planen darf. Natürlich habe ich Kollegen an meiner Seite, die mit mir die Verantwortung tragen.
Ich fahre also tagtäglich mit meinem Partner Dörfer ab um dort Klienten zu besuchen.
Ich muss sagen das ich wirklich gut ausgefuellt bin und all meine Energie ins Projekt stecken kann. Nach einem entspannten Start in den Tag startet meine Arbeit meistens um 10:00, da ich aber auf dem Campus lebe und arbeite kann man Arbeit und Zu Hause manchmal nicht ganz trennen, was ich nicht als negativ empfinde. Ich komme meistens gegen 16:00h wieder nach Hause, wenn ich um 14h wieder auf dem Campus bin kann es sein das ich mich abends nochmal etwas an meinen Schreibtisch setze um etwas zu schreiben.
Es ist sehr angehem, dass der Campus zwei Ebenen hat. Unten wird gegessen und gearbeitet, oben wird gelebt und geschlafen. Wenn ich also die Treppe hoch gehe kann ich meine Arbeit hinter mir lassen und in meine Privatsphäre eintreten.
Da ich viele Klienten habe arbeite ich von Montags bis Freitags, am Samstag ist das allwoechentliche Staff Meeting.

Ich verbinde meine Partnerorganisation immer mit den Campusen (Koppal und Kanakagiri) und ich empfinde das Eintreten in einen Samuha Campus als das Eintauchen in eine kleines Paradies, ein kleines vollkommenes Indien im großen Indien. Man kann hier immer zur Ruhe kommen und sich einfach: wohl fühlen.
Ich weiß auf jeden Fall das meine Partnerorganisation alle Hebel in Bewegung setzt das es mir gut geht.
Ich würde das Verhältnis zur Partnerorganisation also als ausgezeichnet und exzellent bezeichnen. Aufgrunddessen das ich auf dem kleineren Campus lebe und meine Kollegen abends zu Zimmerpartnern werden finden schonmal die ein oder anderen Zimmerpartys auf dem Campus statt. Das Verhaeltnis zu den Freunden ist wirklich aeusserst gut und wir haben oft Spass zusammen.
Da die Menschen auf dem Campus dafuer verantwortlich sind das es dort so schoen sind kann ich sie auf jeden Fall als Freunde bezeichnen

Weil die Zeit hier wirklich wie im Flug vergeht war bereits November , und meine Hartnäckigkeit und Arbeit im September und Oktober haben sich im November ausgezeichnet.
Ich habe es im November geschafft, meine ersten beiden Adaptationen zu bauen.
Völlig aufgeregt und sehr gespannt habe ich mit Kollege Annand also begonnen, eine Rampe in Hiresindogi zu bauen. Weil ich anfangs noch sehr vorsichtig war hat das bauen neun Stunden gedauert, weil ich mit Maßband und Block und Stift immer nachgemessen habe ob die Maße stimmen.
Wenn mich mein Teamkollege auf Kannada (Sprache die in Karnataka gesprochen wird) vorstellt, dann bin ich mittlerweile der deutsche Ingenieur;-). Ich hoffe das mir das die lieben Handwerker und Freiwillige nicht übel nehmen aber man muss dann doch ein bisschen genauer sein. Ich gebe beim Bau die Anweisungen und setze den Punkt, eine Tatsache die anfangs neu und komisch war.

Es ist die Tatsache das mir Samuha wirklich unfassbar viel Verantwortung überlässt und mich nochmal stärker dazu motiviert, gute Arbeit abzuliefern.
Schließlich trage ich zusammen mit meinem Kollegen die Verantwortung, und setze viele Spendengelder um.
Im ersten eigenen richtigen Urlaub ging es im November nach Hyderabad zu Lukas, dort haben wir sein Projekt besucht und ein paar schöne Tage mit ihm verbracht. Es war schön sich auszutauschen und gemeinsam Zeit zu verbringen.
Zurück in Koppal wartete das Hillary Team aus Kanada auf uns.

Hillary ist eine Kanadische Physiotherapeutin die zwei mal im Jahr mit Stundenten zu Samuha kommt, und in der Physiotherapie und bei allgemeinen Fragen hilft.
Das Team bestand dies mal aus ihr plus vier Stundenten aus Toronto, mit denen ich hier wirklich eine geile und geniale Zeit hatte und von denen ich unfassbar viel gelernt habe.
In meinem Freiwilligendienst in Indien ist es sehr schön für mich, dass ich viel Wissen über Behinderungen bekomme und lerne, wie man mit behinderten Menschen umgeht.
Bei mehreren Klienten haben wir es geschafft in Zusammenarbeit von Physiotherapie/Early Intervention und Functional Adaptation eine optimale Förderung für die Person herzustellen.
Es war wirklich fruchtbar von den Stundenten zu lernen und gemeinsam über Plänen zu sitzen und sich in endlos langen Gesprächen auszutauschen. Natürlich kamen auch gemeinsame Akitiväten nicht zu kurz.
Ich möchte nochmal ein Wort über Samuha verlieren. Ich bin hier von einem Team umgeben das mich ständig umsorgt und wo es immer jemanden gibt den man fragen kann warum das jetzt so ist. Physiotherapeut Prabhakar, der wirklich ein guter Freund und Kollege geworden ist, kommt immer gleich mit zwei Tees an und löst schnell Fragezeichen auf.
Eigentlich könnte man denken das es doof ist mit seinen BEIDEN Chefs (Direktor und Stellvertreter) im Büro zu sitzen, ich finde es aber ziemlich cool meinen Schreibtisch hier zu haben. Auch meine beiden Direktoren Bassappa und Hampanna, zu denen ich wirklich ein gutes und offenes Verhältnis habe, darf ich von morgens bis abends mit Fragen löchern. Sie haben mich noch nicht rausgeworfen;-) und haben (wenn sie Zeit haben) immer eine Antwort parat.
Ich lebe hier in meinem kleinen und süßen Zimmer auf dem Koppal Campus, der sich abends wenn die Sonnne untergeht von Arbeiten in Wohnen umwandelt. Zum Essen kann ich nur sagen: Es ist so lecker, dass Moritz und ich ein bisschen zugenommen haben. Ohne ein Frühstück und eine Extraportion beim Abendessen lässt mich Nachtwächter Irappa nicht zur Arbeit/ins Bett. Wenn ich abends müde aussehe macht Irappa eine heiße Milch mit Honig. Man muss sich ja ein bisschen verwöhnen lassen;-).
In Bezug zur Sprache muss ich allerdings sagen das ich ueber die ersten Worte Kannada nicht hinausgekommen bin und ich erhebliche Probleme habe die Sprache zu lernen.
Da ich allerdings daran beteiligt bin die Camps zu leiten lerne ich viel die indische Gebärdensprache und kann mich immer besser mit den Kindern verstaendigen. Ich spreche hauptsächlich Englisch und oft Gebärdensprache und merke wie auch mein Englisch immer besser wird.

Hier bei Samuha bin ich wie schon beschrieben mit so verantwortungsvollen Aufgaben betraut das ich manchmal in Erinnerung rufen muss: Hey, ich bin eigentlich “nur” ein kleiner “Freiwilliger”. Für Samuha und die Kollegen bin ich allerdings ein vollwertiges Mitglied, dessen Stimme genau gewertet wird wie die eines anderen aus dem Team.
Hier in Indien merke ich durchaus manchmal mehr, manchmal weniger das wir als weiße Deutsche in absolut anderer Weise behandelt werden und manchmal Privilegien erhalten, die zum Teil unangenehm sind.
Zu meinen Freunden und Kollegen habe ich allerdings ein sehr aufgelockertes Verhältnis.


Ebenfalls der monatliche Austausch zu den Mentoren Jürgen und Manoha sind sehr wichtig, weil es wie schon beschrieben Konflikte gibt, die sich im Alltag nicht auflösen und wo man dann mal nachfragt und eine Antwort braucht.
Ich werde hier sehr ernst genommen, und spüre, dass ich ein vollwertiges Mitglied des Teams bin.

Der Kontakt zum Bonner SCI Büro ist rege, allerdings habe ich wirklich das Gefühl das wenn es wirklich ein Problem gibt ich mich bei Sandra melden kann. Es ist für Moritz und mich wirklich immer umwerfend in was für einer Rekordzeit es eine Antwort von Koordinatorin Sandra gibt. Da merkt man immer wieder das auch der SCI einen sehr umsorgt.
Mehr Kontakt gibt es dagegen zu Mentor David, den man mal per Mail etwas fragen kann und wo auf jeden Fall auch schnell etwas zurück kommt.
David kommt im Februar nach Indien (u.a. Um mit uns zwischenauszuwerten) und wir werden sehr viel zu reden haben. Wir freuen uns sehr auf seinen Besuch.
Der Monat Dezember war ebenfalls durch den Bau von zwei weiteren Adaptationen für mich sehr erfolgreich. In einem viertägigen Lehrgang wurde das komplette Samarthya Team für das kommende Jahr fit gemacht. Wissen wurde aufgefrischt. Die Themen waren Querschnittslähmung, Schlaganfall, Deafblindness (hier fehlt beim vielen englisch reden mal wieder die dt. Übersetzung), MS und Early Intervention.
Mitte Dezember war es dann endlich soweit. Die lang ersehnte Trackingtour in den hohen Norden und anschließend nach Goa stand endlich vor der Tür. Mit dem Trackingruksack ging es knapp 5000km mit dem Zug durch Indien. Die Reise war unbeschreiblich und wirklich atemberaubend.

Abschließend muss ich sagen, dass es für mich und Moritz wirklich ein Problem sein wird, Indien zu verlassen, und wieder in Deutschland klar zu kommen.
Natürlich komme ich wieder, allerdings gibt es schon wirklich vieles was mir hier in Indien gefällt und was ich sehr liebe. Es wird auf jeden Fall schwer sein sich von Samuha zu verabschieden und im geliebten Bangalore in den Flieger zu steigen.
Als ich letztens im Bett wirklich überlegen musste, bis ich die dt. Notrufnummern von Polizei und Feuerwehr sagen konnte habe ich gemerkt: Wow, ich bin mitten in Indien!




Ja, und was passiert demnächst? Es ist Halbzeit in meinem Auslandsjahr. Durch den Weggang meines ehemaligen Teamkollegen Annand arbeite ich jetzt mit Virupakshi, ein ebenfalls sehr kompetenter Kollege der seit 16Jahren für Samuha arbeitet und weißt wie der Laden und der Hase läuft. Es ist durchaus ein bisschen schade, weil ich mit Annand eine schöne Zeit hatte und er mir viel beigebracht hat, es ist aber wirklich auch sehr produktiv mit Virupakshi zu arbeiten.
Hier bei Samuha geht dieses Jahr wirklich die Post ab. Ich baue ein Toilettenhaus, baue den Garten des Campuses behindertengerecht um und organisiere nebenbei mit dem anderen Virupakshi Camps und taubstumme Kinder. Leider merken auch Kinder in Indien sehr schnell, dass meine feinmotorischen Fähigkeiten und vor allem der Umgang mit Bällen irgendwo zwischen Kindergarten und Grundschule stecken geblieben sind:D. Sie haben viel Spaß mit mir.
Als zukünftiger Pädagoge ist es für mich wirklich interessant zu sehen wie sich taubstumme Kinder verhalten und wie man diese fördern kann. Ich habe gemerkt das man sich sehr konzentrieren muss und viel mit Mimik, Gestik und Körpersprache arbeitet.

Bevor mir Sandra im Bonner Büro und Mentor David an die Gurgel springen beende ich nun meinen Bericht.
Schließlich gibt es noch ein paar andere Scheißerle vom SCI die grade in der Weltgeschichte rumturnen und ein paar Berichte an Sandra schicken.
Ach Indien! Ich bin wirklich froh das ich hier noch ein halbes Jahr genießen, leben und arbeiten darf. Allerdings merke ich das die Klientenliste auf meinem Schreibtisch immer länger und die Zeit in Indien immer kürzer wird. Was passiert in diesem Jahr? Das weißt du in Indien nie.
Warte mal,ja: ich glaube die zweite Halbzeit beginnt.Der Stadionsprecher Norbert Dickel kündigt die Spieler an, Jürgen Klopp setzt sich auf die Trainerbank und die Fans stimmen ihre Mannschaft an. Alle fragen sich: Gewinnen wir, was passiert bloß? The answer my friend, is blowing in the wind, the answer is blowing in the wind.

Hier wird es Abend, und leise legt sich der samtrote aufgewirbelte Staub auf dem zarmen Koppal nieder. Koppal schläft leise ein. Es ist ganz still hier und andächtig, man hört wie im Orient die schöne Melodie des Muezin der zum Abendgebet ruft.
Morgen geht es wieder los, ab aufs Motorrad, erster Gang rein, schön hinten festhalten und mit Virupakshi in der indischen Brise durch Indien.
Hier soll ich bald wieder weggehen, frage ich mich !?
Und trinke meinen Tee aus, klappe ganz schnell mein Laptop zu, und genieße das unglauliche: Indien........