Donnerstag, 3. Mai 2012

Was geschah?


Namaskará,
liebe Leserinnen und Leser,

mit einem langen Bart, und braun gebrannt sitze ich mal wieder vor meinem Laptop und schreibe ein paar Zeilen für euch. Der Ventilator brummt, und es ist angenehm, das ein kühler Wind übers Land geht. Abends, wenn ein Regenschauer die Hitze des Tages vertreibt kann man das Prasseln auf den Dächern des Campuses hören.
Acht Monate, das sind ganze 243 Tage , habe ich nun schon in Indien verbracht. Langsam aber sicher naht der Endspurt, und in nicht allzu langer Zeit bin ich wieder zurück in der besten Stadt der Welt, wo der deutsche Meister Fußball spielt.
In meinem dritten Bericht möchte ich erzählen, was ich bisher erreicht habe, und was ich noch bis zum Ende meines Freiwilligendienstes umsetzen möchte.

Ich fange also da an wo ich Ende Januar aufgehört habe. Ich muss sagen, dass der Weggang meines ehemaligen Kollegen Annand zu Beginn des neuen jahres 2012 doch schwerer zu verdauen war als gedacht, und mich ein paar Wochen zurückgeworfen hat.
Durch die Neustrukturierung meiner Freiwilligenstelle dauerte es doch bis in den Februar hinein, das Projekt wieder in Gang zu setzen.
Das Motivationstiefmonster, dass zu Beginn diesen Jahres Guten Tag sagte, wurde mit Geduld und Ruhe überwunden, und ich konnte in den normalen Alltag zurückfinden.
Mit ganz elementaren Fragen und Gedanken wie “Warum läuft das jetzt nicht so?” oder “Das muss doch jetzt schneller gehen” bin ich mit meiner Arbeitsweise, mit der ich ins neue Jahr starten wollte, gekonnt vor die Wand gefahren. Es hat zwar ein halbes Jahr gedauert, die indische Arbeits- und Lebensweise kennen zu lernen und zu erleben, richtig fühlen konnte ich sie aber erst nach dem überwundenen Tief im Januar. Arbeitsabläufe gehen auf einmal viel leichter von der Hand, man versteht Kollegen noch besser als vorher, und man schafft es durch innere Ruhe im Alltag mehr zu erreichen.Ich bin im indischen Flow, und fühle mich gut damit.
Ich genieße meine Zeit hier in Indien nach wie vor sehr, und kann mit dem indischen Flow die Zeit noch etwas mehr genießen und meine Zeit auskosten.

Wenn ich bedenke, dass ich erst im September letzten Jahres mit meinem Projekt Functional Adaptation einen neuen Klientenstamm in und um Koppal aufgemacht habe, ist es umwerfend zu sehen wie das Projekt jetzt läuft. Es hat viel Mühe, Geduld und Durchhaltevermögen gekostet, die Sache ans Laufen zu kriegen, und es ist schön zu sehen, wie ein Zahnrad ins nächste läuft. Klienten, die noch im Oktober nicht aus dem Bett zu kriegen waren, machen jetzt mit ihrem neuen Rollstuhl Koppal unsicher.

Hier muss ich allerdings anfügen, dass ich nach wie vor bemerke, dass die Motivation und die Mitarbeit der Familie nicht mit dem übereinstimmt, was wir investieren. So hatten wir im letzten November und Dezember ein Kind Priyanka(5Jahre alt), das Ceberal Palsee hat, und vor dem Kontakt zu Samuha nicht laufen konnte. Durch gezielte Early Intervention und Physiotherapie, ausgeführt vom Physiotherapeuten Prabhakar, dem Physiotherapieteam aus Kannada und mir, konnten wir erreichen, dass Priyanka Mitte Dezember eine abgesteckte Strecke ohne Hilfe gehen konnte.
Als ich Priyanka letztens im März gesehen habe, habe ich gesehen, dass Sie nicht in der Lage ist ohne Hilfe zu laufen. Die Mitarbeit der Familie, vor allem der Eltern, ist eine unabdingbare Säule meiner Arbeit. Ich bemerke teilweise zu häufig, dass die Hilfe nicht fortgesetzt wird. Der Kern meiner Arbeit ist eine erzieherische Nachhaltigkeit, durch die erreicht werden soll, das die Dorfbewohner nach meinem Weggang Rehabilitation wie z.B. Eine Rampe selber durchführen können.
Für diesen Übergang ist das Projekt zu diesem Zeitpunkt doch vielleicht noch zu viel jung, aber die Menschen im Dorf merken das etwas passiert und packen ordentlich mit an.

Wir versuchen durch den gezielten Einsatz von Freiwilligen im Dorf eine Eigenständigkeit und Verantwortung im Dorf selbst herzustellen.
Ich sehe mich selbst in der Rolle des Vermittlers, die die Menschen dazu anregt, selber aktiv zu werden. Ich sorge für die Rahmenbedingungen, um einen reibungslosen Ablauf herzustellen. Ich möchte die Klienten und Familien das Fischen lernen, und nicht den Fisch geben.
Ich bin der Meinung, dass ich an meiner Arbeit und dem Leben in Indien sehr wachse, und viel für mein späteres Leben lerne. Vor allem in den Bereichen Eigenständigkeit, Verantwortliches arbeiten und Konflikte sowie Probleme lösen lerne ich hier viel.
Ich fühle mich nach wie vor in Indien sehr wohl und genieße von ganzem Herzen Land und Leute, könnte mir jedoch nicht vorstellen, Leben in Indien zu verbringen. Ich bekomme durch den Kontakt zu den Freunden auf meinem Campus die Möglichkeit, Fragen zu diskutieren und Sachen in Frage zu stellen.

Es hat im Februar diesen Jahres mit allen wichtigen Personen der Organisation und dem deutschen Mentor David ein Evaluation Meeting gegeben. Dieses war für alle sehr erfolgreich und positiv, denn es wurden viele Dinge evaluiert. Ein paar offene Konflikte konnten gelöst werden. Auch die anschließende gemeinsame Zeit mit David im Projekt haben wir sehr genossen weil es gut war, sich über gewisse Dinge auszutauschen und über persönliche Gefühle zu reden.
Dahingehend das ich zu Beginn dieses Jahres meinen Kollegen gewechselt habe, haben sich auch meine Verantwortungsbereiche und Aufgaben verändert. Da Virupaxi ebenfalls der Koordinator der Commmunity Based Rehabilitation ist, haben wir es so gelöst, dass wir zwei einhalb Tage gemeinsam arbeiten. Darüber hinaus wurde ich von ihm in Arbeitsschritte wie Buchführung, Abrechnung und Dokumentation eingearbeitet, die ich nun eigenverantwortlich selbst durchführe. Für die anderen beiden Tage, an denen er zwar im Projekt ist, aber etwas anderes zu tun hat, steht mir ein anderer Kollege Ramesh zur Verfügung, mit dem ich gerne Arbeiten durchführe(Material organisieren, Koordinierung).
Während ich im letzten Jahr nicht so stark in administrative Aufgaben des Functional Adaptation Projektes involviert war, betreue ich nun das Projekt theoretisch und praktisch.
Dies ist wahnsinnig spannend, und ich lerne hierbei sehr effektiv und genau zu arbeiten. Ich habe noch ein bisschen mehr Eigenverantwortung, und kann mich von Pläne zeichnen, bis Material organisieren, bis hin zu Village Meetings und der letztendlichen Durchführung des Projektes restlos austoben. Da ertappt man sich schonmal dabei das es draußen dunkel wird und man immer noch ganz faszniert über den Plänen sitzt. Irgendwann kommt dann aber der Koch und macht dem ganzen ein Ende;-). Hierzu möchte ich sehr klar betonen, dass wir genug Freizeit und Urlaub haben, aber die Arbeit wirklich so viel Spaß macht, dass wir auch mal gerne ein bisschen mehr machen. Das Verhältniss stimmt auf jeden Fall.

Vor der Durchführung des Projektes oder bei ein paar ungeklärten Arbeitsschritten gibt es natürlich eine Absprache mit Virpuaxi, Ramesh und/oder den anderen Teamkollegen, so dass man nochmal eine ganz anderer Arbeitsablauf besprochen wird.
Es ist durchaus ein bisschen schade, dass ich nicht mehr so oft in die Camps von den taubstummen Kindern eingesetzt werden kann, aber ich versuche soweit es geht daran teilzunehmen. Manchmal muss dann doch noch eine andere Sache weggearbeitet werden.
Es ist schon sehr erstaunlich, wie schnell man sich in ein Team einleben kann, und ich habe ein gutes Gefühl, mitten im Projekt zu stecken und auch akzeptiert zu sein. Manchmal vergisst man ganz das man ein Freiwilliger des SCI ist, weil ich hier als vollwertiger Mitarbeiter angesehen werde. Hierbei hat mir vor allem das Team der Kollegen und Chefs geholfen, die mir viel Vertrauen schenken und mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Somit konnte ich es schaffen, bis Ende März zehn Adaptations umzusetzen. Hierzu gehören drei Rampen, zwei Festhaltestangen an einer Wand, ein Toilettenhaus mit Rampe, eine Rampe aus Lehm und eine Holztreppe für ein öffentliches Gebäude, einen Sitzblock für ein Badezimmer und für einen Klienten zwei parallele Einsenstangen, um tägliche Übungen durchzuführen (Gleichgewicht).
Ich habe bereits damit angefangen, zusammen mit Moritz und den anderen Kollegen des Teams den Garten meines Campuses behindertengerecht und schön umzubauen.
Es stehen also vier ausstehende Projekte auf meiner Liste, die ich gerne bis Ende Juli fertigstellen würde. Ich mache mir diesbezüglich keinen Druck, sondern weiß, dass ich ausstehende Projekte an einen neuen Freiwilligen abgeben kann.









Ich konnte die letzten Wochen unter anderem (wie oben beschrieben) für ein öffentliches Gebäude tätig sein, für welches ich eine Holztreppe entworfen habe: 



Diese Treppe ermöglicht den Barrierefreien Einstieg in ein Büro, dass etwas unterhalb einer Straße liegt. 

















Ich saß seit September letzten Jahres 
an der Planung für den Umbau des Campusgartens. Dieser sollte zum einen für Menschen mit Behinderungen zugänglich, und zum anderen schön gemacht werden. Nach achtmonatiger Planungsphase konnten wir letzte Woche mit dem Bau beginnen und sind fast fertig. Hier rechts und unten kann man erste Arbeitsergebnisse sehen.


Ausserdemsitze ich derzeit zusammen mit Moritz und unserem Workshop Mitarbeiters, der die Rollstühle, Protesen und andere Hilfsmittel herstellt und repariert an einer Idee für einen Rollstuhl. Hier rechts ist ein Prototyp zu sehen, der schon auf dem Campus von Klienten ausprobiert wird. Es handelt sich hierbei um ein drittes Stützrad mit einer Kurbel. Die aktuelle Version wird von den Klienten als sehr angenehm empfunden. Ich bin ab und zu in der Werkstatt um Ideen einzubringen, ein neuer Freiwilliger wird sich ab September mit diesem Thema beschäftigen.

Desweiteren sitzen Moritz und ich gemeinsam an einem großen Projekt: Dem Social Rehabilitation Centre. Wir haben seit September letzten Jahres zusammen mit unserem Direktor Hampanna und unseren beiden Teamkollegen an einer Idee gesessen, einen der vier Campuse so umzubauen, dass dort Menschen mit körperlicher Behinderung nach einem Unfall rehabilitiert werden können. Nach nächtelangem Brüten und tausenden Tees sind wir nun soweit: Es kann losgehen;-). Der Campus liegt sehr günstig gelegen auf halber Strecke von Moritz zu mir, und je nach indischer Mentalität wäre es schön, wenn wir es schaffen ein paar Dinge umzusetzen. Es sollen Gruppen von 5-6 jungen Männern für eine Zeit von drei bis sechs Monaten auf dem Irkalgada Campus wohnen, und dort für ein eigenständiges Leben im Dorf nach dem Unfall vorbereitet werden. Hierzu gehört selbstständiges Kochen, duschen, aber auch tägliche Physiotherapie und Gartentraining stehen auf dem Programm.
Unsere Aufgabe ist es, Rampen, Schlafräume, die Küche, Bad, und Toilette sowie anderen Begebenheiten behindertengerecht umzubauen. Klingt spannend? Ist es auch.

Nach jetzigem Stand kann ich diesem Auslandsjahr verbunden mit dem Freiwilligendienst wirklich volle Punktzahl geben. Neben stetig wachsenden Englischfähigkeiten im Schreiben und vor allem Sprechen lerne ich hier wahnsinnig viel über Behinderungen sowie effektive und selbstständige Arbeitsweisen. Es ist einfach schön, bei einfachsten Lebensverhältnissen mit dem Menschen zusammen zu leben und gemeinsam etwas zu erreichen. Der Stempel, den ich bei der Ausreise bekomme, ist ein sehr herzlicher tiefer Indien Stempel in mein Herz, der mich für mein restliches Leben prägen wird.

Abschließend kann ich sagen, dass die Zeit hier in Indien wirklich an mir vorbei geflogen ist, und ich nur zusehen konnte, wie schnell dieses Jahr vorbeigeht. Mit gleichzeitigem Wehmut über den Weggang aus einer geilen Zeit in Indien, freue ich mich sehr auf die Rückkehr in meine Heimat, und auf das Wiedersehen mit Familie und guten Freunden. Ich habe im Moment das Gefühl, dass ich in meinem zuH ause nur noch ein Gast bin, und das es zunächst komisch sein wird in seinen alten neuen Schatten zurückzutreten. Ich freue mich auf jeden Fall auch auf das zeitnahe SCI Seminar, auf dem wir die Möglichkeiten haben, unsere Erfahrungen zu teilen und darüber zu reden.
Mein Weg nach Indien geht an die Uni Würzburg, und ich finde es gut, zwei Monate Zeit zu haben, um sich wieder einzuleben und alles fürs Studium vorzubereiten. Ich werde ab dem kommenden Semester Grundschullehramt studieren.
Der Freiwilligendienst mit den behinderten Menschen hat in mir die Interesse geweckt, mich vielleicht später auf körperliche Behinderungen im Grundschulalter zu spezialisieren. Es ist ein Gedanke im Hinterkopf, und ich werde schauen, ob ich ihn bei geraumer Zeit aufgreife.

So liebe Freunde in Deutschland,
da es einfach nichts mehr zu schreiben gibt, stürze ich mich die nächsten Wochen ins Projekt, und freue mich darauf, euch bald wiederzusehen!

Herzlich Grüßt,
euer Florian Oschmann