Donnerstag, 14. Juni 2012

Das schönste Dankeschön

Liebe Blogleserinnen und Blogleser,

es ist mal wieder Zeit einen Eintrag zu machen, und zu erzählen, was hier im Süden Indiens bei mir passiert, was mich bewegt, und wie es im Projekt vorangeht.
Ich habe es geschafft, zusammen mit meinem Kollegen Virupaxi das Projekt nochmal richtig anzukurbeln, und sitze deshalb von morgens bis abends hinten auf dem Motorrad. Wir verbringen viel Zeit mit den Klienten, und versuchen, die letzten Projekte in den Dörfern gut abzuschließen.
Ich merke schon, dass mir ein bisschen die Zeit wegrennt, und ich versuche deshalb den Kampf gegen die Zeit zu gewinnen. Im Moment sieht es gut aus;-).

Letztens ist mir einmal sehr deutlich bewusst geworden, dass ich wirklich ein ganzes Jahr hier in Indien gelebt und gearbeitet habe, und die Zeit bald vorbei ist.
Eine ganz schön lange Zeit verbringst du hier, denke ich mir manchmal, und ein ganz schön krasses Ding ziehst du da durch, dass sage ich manchmal.
Es war definitiv die beste Entscheidung, nach dem Abitur den Backpacker zu packen und in die Welt zu ziehen. Dabei habe ich die einmalige Möglichkeit bekommen, die Kultur und die Menschen Indiens und des Hinduismus kennen zu lernen, und damit verbunden viel über das Thema Behinderungen/Entwicklungshilfe zu lernen und Menschen aktiv zu helfen. Genauso wie ich den Menschen geholfen habe, haben die Menschen mir geholfen.
Ja, Indien.Aus einer Verknalltheit ist eine Liebe geworden, und ich erlebe die letzten Wochen in einer besonders intensiven Art und Weise.
Ich bin stark ins Projekt involviert, und versuche auf der Zielgeraden nochmal alles für meine Kollegen und Klienten zu geben. Wir sind somit mit dem Bau des Social Rehabilitation Centres sehr weit, und ich hoffe, dass wir den Centre bald fertigstellen können.
Die Menschen Indiens, Indien und meine Arbeit haben mich in einer sehr besonderen Art und Weise geprägt, dass ich derzeit überlege, meinen Traum Grundschullehrer zu werden damit verbinde, mit behinderten und benachteiligten Kindern zu arbeiten.
Ich habe wirklich wahnsinnig Spaß dabei, mich mit den taubstummen Kindern auf dem Campus zu beschäftigen. Für mich sind es die intelligentesten Kinder, die ich in meinem bisherigen Leben gesehen habe.
Ich werde diesen Gedanken behalten, und zu späterem Zeitpunkt ausführen.
Ich habe in diesem Auslandsjahr und in meiner Arbeit am meisten über mich selbst gelernt. Ich habe dabei gelernt, wer ich eigentlich bin, was mich ausmacht, warum ich so bin wie ich bin, und wo mein Weg nach Indien hingeht.

Abschließend möchte ich euch eine sehr bewegende Geschichte erzählen. Sie ist real, und stammt aus meinem Arbeitsalltag. Ich habe einen Klienten namens Mourtigouda. Er hat eine Querschnittslähmung, und dies seit 17 Jahren. Ich besuche ihn das erste mal im September letzten Jahres, erfahre mehr und mehr über sein Krankheitsbild und sein Leben, und mache mir Gedanken wie ich ihm helfen kann. Er lebt alleine, sehr vereinsamt, und hat zu seiner Familie seit seiner Querschnittslähmung keinen Kontakt. Mourtigouda lag zu Beginn meiner Hilfe sehr deprimiert auf dem Boden, und es war kaum möglich, ein Gespräch mit ihm zu führen. Mich hat von Anfang an sehr bewegt, dass Mourtigouda eine unfassbare Lebensfreude hat, die man immer wieder erkennen kann. Mourtigouda verbringt seine Zeit hauptsächlich mit Schreiben und Dichten. Dadurch verarbeitet er unter anderem seine Armut, seine ökonomische und physische Situation und vor allem: seine Einsamkeit. Ich hatte von Anfang an den Willen, Mourtigouda zu helfen, und zunächst stand ein Rollstuhl auf dem Programm. Hierzu muss ich sagen, dass man in Indien nicht sofort alles machen kann, sondern kleinschrittig denken muss. Vom Local Government einen Rollstuhl zu bekommen ist sehr schwierig, obwohl Geld für entsprechende Hilfe vorhanden ist. Durch fehlende Unterstützung war Mourtigouda also stets an sein Haus gefesselt, und hat im letzten Jahrzent nicht mehr als die Häuser und die Menschen seines Dorfes gesehen. Ich habe wöchentlich versucht, Mourtigouda zum Leben zu motivieren und vor allem, seine Behinderung anzuerkennen und sein Leben eigenständig durchzuführen.
Es ist mittlerweile Februar, und nachdem sich dem der Kampf gegen die lokalen Politiker auf ein halbes Jahr hinausgezögert hat, habe ich von meiner Organisation Samuha eine Zusage für einen Übergangsrollstuhl bekommen. Ich konnte also aus unserer Campuswerkstatt einen Rollstuhl leihen, und ihn Mourtigouda vorbeibringen. Als Mourtigouda sieht, dass ich Nägel mit Köpfen mache und ihm einen Rollstuhl vor die Tür stelle kann er nichts mehr als weinen. Er ist so glücklich, dass es direkt ein spontanes Dorffest gibt, zu dem alle Nachbarn kommen und spontan Tee getrunken wird.

Warum erzähle ich euch diese Geschichte? Es ist mittlerweile April, und ich bin dabei, weitere Adaptationen für Mourtigouda zu planen(Rampe, Duschplatz,...). Ich fahre zu ihm raus, und sehe Aus dem Augenwinkel am Straßenrand jemanden, der mir aus einem Rollstuhl zuwinkt. Ich bitte meinen Kollegen, anzuhalten, und traue meinen Augen nicht: Mourtigouda ist mit seinem Rollstuhl zum TeaShop seines Dorfes gefahren, der circa 15min. von seinem Haus entfernt ist. Es hat mich in diesem Moment unfassbar stolz gemacht, dass wir erreichen konnten, dass Mourtigouda (anfangs nur liegend) seinen Rollstuhl annimmt und sein Dorf unsicher macht.
Bei diesem Klienten hat der Rollstuhl neben anderen Effekten vor allem einen schönen Effekt: Der Kontakt zur Außenwelt! Das Stichwort in meiner Arbeit ist klar: Unabhängigkeit! Mourtigouda hat selbst die Initiative ergriffen zu den Menschen rauszufahren.


Mourtigouda konnte ich helfen. Und er hat in einer sehr besonderen Art und Weise auch mir geholfen. Wie ? Das kann man nicht in Worte fassen.
Das Lachen, das er mir geschenkt hat, als er mir ganz freudig zu gewunken hat, ist: unbeschreiblich, und das schönste Dankeschön das man für seine Arbeit bekommen kann......